Neue Lügen von Andy und Bob!

Der Andy – ist der Ruf erst ruiniert …

Wenn jemand glaubt, nach all den Ereignissen der letzten Jahre sei das Anti-Vaxx-DreamTeam mit dem Jahrhundert-Medizinbetrüger Andrew Wakefield und dem Attorney of FakeNews Robert Kennedy jun. endlich mal abgetaucht, der täuscht sich sehr. Sie setzen ihre Anti-Vaxx-Wühlarbeit unbeirrt fort. Immerhin muss ja Kennedy jr.’s unsägliche Childrens Health Defense-Organisation (gemeinützige Impfgegner-Bullshitschleuder) auch für etwas gut sein.  Die beiden verfolgen dabei weiter ihre „bewährte“ Taktik, den Menschen mit Falschinformationen, sagen wir ruhig: glatten und dreisten Lügen Angst einzujagen und ihnen Schaden zuzufügen. Gewissenlos eben. Sollen wir uns freuen, diese alten Bekannten aus den Frühzeiten dieses Blogs wiederzutreffen? Ich hätte drauf verzichten können, aber alte Bekanntschaft verpflichtet eben. Daher dieser Beitrag.

Logo Children’s Health Defense . eine Art Rotkäppchens Wolf getarnt als Kinderschutzorganisation

Aktuell verteilen sie einen halbstündigen „Dokumentarfilm“ (Veröffentlichungsdatum 19.06.2022) auf kleineren Videoplattformen (weil sie bei YouTube, Vimeo & Co. vermutlich damit nicht mal über den automatischen Spamfilter rauskämen). Unter dem Titel „INFERTILITY BY VACCINATION: A DIABOLICAL AGENDA – ROBERT F KENNEDY JR & ANDY WAKEFIELD“. Na, wir wollen mal sehen, wer hier eine „diabolische Agenda“ verfolgt.

Worum geht es?

Um den Claim, dass die WHO in Afrika 2014 Tetanus-Impfkampagnen mit der Absicht durchgeführt habe, Frauen zu sterilisieren.

Echt jetzt? Die WHO? Ja … und die katholische Kirche hat gar diesen epischen Skandal aufgedeckt! Himmel!!!

Der Film der beiden Profi-Lügner ist gar nicht so schlecht gemacht, er wirkt recht authentisch und hat – jedenfalls am Anfang – durchaus eine wissenschaftliche Anmutung. Der Beginn will offenbar gar andeuten, die zurückgehenden Geburtenraten allgemein (z.B. in den USA und Australien) seien bereits ein Ergebnis perfider Strategien. Die in Kenya auftretenden Protagonisten aus jüngerer Zeit, durchweg einfache Leute, machen den Eindruck, als seien sie tatsächlich überzeugt von dem, was sie da erzählen. Das mag durchaus so sein. Geschickt verdichtet sich der Film dann, mit Schnitten auf alte Aufnahmen und Statements, zu einer wirklich massiven Verschwörungserzählung, mit der offenbaren Absicht, nicht nur die Impfbereitschaft der Menschen zu untergraben, sondern von der WHO bis zu den lokalen Behörden alles zu diskreditieren, was irgendwie mit Impfen zu tun hat.

Aber wir wollen nicht gleich polemisch werden, sondern uns die Sache mal näher anschauen. Wie erwartbar, werden solide wissenschaftliche Belege nicht angeführt, Shownotes (also Belegquellen) zum Video gibt es natürlich nicht. Im Film wird behauptet (und von „Zeugen“ bestätigt), dass Labore den zur Sterilisierung notwendigen Inhaltsstoff (das Schwangerschaftshormon HCG) nachgewiesen hätten – wenn auch nicht in einem irgendwie nachvollziehbaren Muster. Suchen wir mal in den einschlägigen Medizindatenbanken nach Details zu dieser Geschichte.

Oha! Schon werden wir bei PubMed/NCBI fündig. Aber was ist das? Ein magerer Abstract zum Themenkreis (Tetanus vaccine may be laced with anti-fertility drug. International / developing countries) schon aus 1995 (interessant – wir kommen ganz am Schluss darauf zurück), der auf keinerlei Belege verweist und nicht einmal Autorennamen trägt („No authors listed“), also im wissenschaftlichen Sinne weniger Bedeutung hat als ein Kaugummipapier? Wie ist das auf PubMed gelandet? (Natürlich durch die Assoziation von PubMed mit der Ursprungsveröffentlichung. Die war bei Vaccine Weeky, einem Journal, dem nur ein kurzes Dasein beschieden war – nach den Angaben bei Scimago von 1994 bis 1996. Mit einem h-Index von 1, also sozusagen nicht vorhanden.)

Also mal weiterschauen. Siehe da! „HCG Found in WHO Tetanus Vaccine in Kenya Raises Concern in the Developing World“ – veröffentlicht im Open Access Library Journal (und nicht PubMed-gelisted), ein Journal, das jedermann/frau die Option bietet, gegen einen kleinen Obolus von USD 99 ein Paper zur Submission einzureichen. Natürlich alles völlig seriös, versteht sich.

Und hier finden wir nun die ganze Geschichte, das Drehbuch sozusagen, das unsere Freunde Andy und Bob filmisch so schön umgesetzt haben, damit nun endlich alle Welt davon erfahre, welche perfiden Übeltäter sich der Impfung bemächtigen, um die Menschheit zu dezimieren. Publiziert 2017, also auch schon eine Weile her. Zusätzlicher Erkenntnisgewinn allerdings auch nahe Null – auch nicht mehr als ein Bericht, eine Story, nicht viel mehr als eine halbe Bildschirmseite. Aber dann gefolgt von einer Referenzliste mit immerhin 109 Topics!

Nun, mich beeindruckt das weniger. Erstens, weil Referenzlisten, die länger sind als der veröffentliche Text, meist nur Eindruck schinden wollen. Zweitens, weil gleich die ersten Referenzen nicht auf wissenschaftliche Quellen verweisen, sondern auf Narrative von Beteiligten und Interessierten, bei denen man die gleiche Sache ohne viel zusätzlichen Erkenntnisgewinn nachlesen kann (z.B. die Catholic Health Commission of Kenya oder die Kenya Conference of Catholic Bishops). Bis die Liste dann in für die Sache völlig irrelevante Links übergeht, die ersichtlich als „Füller“ dienen sollen. Ersichtlich ein „Storytelling“ als wissenschaftliche Publikation getarnt, die in einem der führenden Journale nur die Chance auf den Papierkorb gehabt hätte.

Wer jetzt noch gutwillig annimmt, dass es sich tatsächlich, vielleicht, möglicherweise doch um eine seriöse, wenn auch etwas verunglückte Veröffentlichung handeln könnte, dem wird diese Illusion bei einem Blick auf die AutorInnenliste schlagartig genommen. Allein die MitautorInnen Christopher A. Shaw und Lucilja Tomljenovic lassen die Herzen jedes wahren Impfgegners höher schlagen.

Beide sind bekannte impf“kritische“ Autoren, die u.a. mit Organisationen verbandelt sind, die impfkritische Aktivitäten finanzieren, und die beide auch schon mal vergessen, das als Interessenkonflikte anzugeben. Verbandelt z.B. mit dem Children’s Medical Safety Research Institute (CMSRI, schon wieder so ein schamloser Euphemismus für eine impffeindliche Organisation). Man lese nur einmal die ersten Zeilen auf deren Homepage. Von hier aus lassen sich auch direkte Fäden zu Andrew Wakefield verfolgen. Wohlgemerkt – wir befinden uns hier nicht auf dem Spielfeld von Amateuren, sondern auf dem gut organisierter und finanzkräftiger, international vernetzter Hardcore-Impfgegner, die kein Problem damit haben, die WHO direkt anzugehen.

Und siehe da – schnell finden sich immer mehr Berichte aus scheinbar vertrauenswürdigen, vorzugsweise katholisch firmierenden Quellen. Ursprung der deutschsprachigen Veröffentlichungen scheint ein Artikel des katholischen Publikationsorgans „katholisches.info“ aus 2014 zu sein, einem Portal, von dem einem die christliche Menschenfreundlichkeit sozusagen schon beim ersten Aufruf ins Gesicht springt. „Geheimaktion: WHO und Unicef wollten Millionen Frauen geheim sterilisieren“ nennt sich das Machwerk, das offenbar immer wieder mal von interessierten Kreisen herumgereicht und niemals korrigert wurde – bis heute. Quellen bei katholisches.info? Aber sicher! Man lässt dort einen gewissen Stephen Karanja als Kronzeugen auftreten. Moment! Den kennen wir doch?! Der ist doch tatsächlich Mitautor der oben kritisch beäugten Veröffentlichung im Open Access Library Journal und damit Kollege von Shaw und Tomljenovic. Was für ein Zufall!!! Damit steht jedenfalls schon mal fest, dass Andy und Bob mit ihrem Filmchen ziemlich (k)alten Kaffee aufwärmen.

Selbst der Allergutwilligste wird an dieser Stelle einräumen müssen, dass die Sache ein Geschmäckle hat. Aber wir wollen hier noch keinen Schlussstrich ziehen, sondern herausbekommen, was denn 2014 in Kenia wirklich los war, was die katholische Kirche dort in Aufruhr versetzte und gegen die WHO einnahm.

Die kenianischen Kirchenleute waren offenbar wirklich panisch und hatten sich tatsächlich sechs Ampullen des Impfstoffs besorgt und untersuchen lassen, Darauf gingen sie mit der Nachricht, drei davon seien mit HCG versetzt gewesen, an die Öffentlichkeit. Die WHO ließ daraufhin offiziell aus verschiedenen Chargen insgesamt 52 Ampullen analysieren – ohne Ergebnis. Worauf unsere aufrechten Kirchenmänner andeuteten, dass die WHO vielleicht gar nicht den Tetanus-Impfstoff, der allgemein verwendet wurde, zur Untersuchung gegeben habe, sondern … ? Belege Fehlanzeige. Wie war das noch mit dem 8. Gebot? (Für nicht so Bibelfeste: ist die Sache mit dem falsch Zeugnis reden.)

Kurz danach meldeten sich die Leiter zweier Labore, die die inkriminierten ersten Ampullen untersucht hatten. Sie gaben zu Protokoll, dass die Kirche ihre Ergebnisse falsch interpretiert und die Proben auch gar nicht als Impfstoff, sondern als menschliche Gewebeextrakte eingeliefert hatten. Was andere Labore aus ihrer fachlichen Sicht bestätigten und den Verdacht äußerten, die drei Proben seien zudem gezielt „kontaminiert“ gewesen.

Die WHO veröffentlichte zu der Angelegenheit eine Pressemitteilung, in der sie der Geschichte vom HCG in Tetanus-Impfstoffen entgegentrat und die Wichtigkeit der Impfung gerade für Frauen im gebärfähigen Alter betonte. Ja, ich weiß, dass hiesige Impfgegner das für Panikmache halten. Aber denen sei gesagt: Neugeborenen-Tetanus ist (hier bei uns) sehr selten, kommt aber vor – wer es aber mal gesehen hat, wird vermutlich zeitlebens zum Thema Impfen den Mund halten.

Die Behörden in Kenya nahmen die Sache nicht auf die leichte Schulter, zumal sich die katholische Kirche mit ihrem ganzen Gewicht in die Sache reingehängt hatte. Eigene Untersuchungen wurden durchgeführt. 2017 veröffentlichten die Behörden den Abschlussbericht eines Expertengremiums, in das man geschickterweise auch die Gegenseite in Form des Councils der katholischen Bischöfe mit eingebunden hatte. Ergebnis: keinerlei Hinweise auf verunreinigte Tetanus-Impfstoffe und ein klares Statement gegen „irreführende Behauptungen, die der Öffentlichkeit Schaden zufügen“.

Das wars. Ganz abgesehen von allerlei offensichtlichen Ungereimtheiten, wie die angebliche dreimalige Tetanusimpfung in kurzen Abständen (Unsinn) oder die schlichte Tatsache, dass nach einer angeblichen Sterilisierung von bereits einer Million Frauen kein Rückgang der Geburtenrate festzustellen war. Aber wen interessieren schon solche Kleinigkeiten, wenn es um eine handfeste Lügenkampagne geht.

Unsere Freunde Andy und Bob jedenfalls nicht. Also, Guys, die Nummer ist doch sehr schwach, den Vorwurf kann ich euch nicht ersparen. So eine abgekaute Geschichte wieder aufzuwärmen! Früher habt ihr wenigstens selbstproduzierte Lügen verbreitet. Und wenn ihr glaubt, man könne der Sache inzwischen nicht mehr auf die Spur kommen, dann seid ihr blutige Amateure, dem Internet Archive sei Dank.


Und zum Schluss noch ein Disclaimer: wir fanden ja weiter oben schon interessant, dass die erste gefundene Publikation (die ohne Autoren) bereits aus 1995 stammte. Laufen diese Geschichten tatsächlich schon so lange um? Ja, tatsächlich, richtig Drive bekamen sie aber erst mit der Kenia-Geschichte 2014. Der eigentliche Ursprung liegt noch viel früher, in den Versuchen seit den 1970er Jahren, eine Methode zu entwickeln, die per Injektion in der Lage wäre, die orale Einnahme von Kontrazeptiva mit ihren Unsicherheiten und ihren Compliance-Risiken für einen längeren Zeitraum zu ersetzen. So wirklich ist da ja nie was draus geworden. Aber schon sehr früh entstanden auf diesem Boden die ersten Verschwörungserzählungen, dass man international an Methoden zur Massensterilisierung forsche …

So, nun wissen wir es ganz genau.


Bilder: Screenshots (1) Bitchute, (2) Children’s Health Defense via Wikimedia commons, (3) Screenshot oalib.com/articles/5290033, (4) Screenshot WHO via Internet Archive, (5) Ministry of Health, Kenya, via Internet Archive


Dieser Artikel ist in leicht angepasster Form auch auf dem Blog des Informationsnetzwerks Impfen erschienen.

Ein Gedanke zu “Neue Lügen von Andy und Bob!

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